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emusterte Tapeten sind total spießig? Sie halten die bröselige Wand zusammen? Jetzt sind Tapetenmuster chic.
Von Deike Diening
Vor kurzem war in deutschen Großstädten eine Werbung plakatiert, die vor allem in diesen Städten kaum einer verstand: „Endlich Rauhfaser!“ stand über einer Frau, die vor einer orangefarbenen Uni-Tapete im Bett saß und lachte, neben ihr schlief ein älterer Mann unter einer grell gemusterten Tapete mit Hirschgeweih. Hatte die Tapetenindustrie den Schuss nicht gehört? Ist nicht längst das Ornament wieder im Anzug?
Raufaser schien lange wie die ideale Lösung, aber Raufaser war bloß das kleinere Übel. Notwehr. Zuerst gegen die erdrückenden Muster der eigenen Kindheit, dann auch gegen die poröse Wand: In Berlin kann es einem passieren, dass die Raufasertapete die Wand zusammenhält.
Andrea Pößnicker ist die lebendige Gegenthese zu dieser Werbung. Schwer steht die Farbe auf ihren Tapeten, die auf edlem Papier von Hand gedruckt sind. Sie entwirft mehrere Kollektionen im Jahr, inzwischen laufen die Tapetenmuster auf Kissen über und auf T-Shirts. Ihre Entwürfe heißen Dutch Pomp, Lady Light und Rich Bitch. Sie sind elegant, komplex, ironisch, sie arbeiten mit Anspielungen und verdichten sich im Idealfall zu einer gesellschaftlichen Aussage. Die Paradiesszene (Foto oben) soll auch zeigen, dass der Mensch sich ruhig mal unter einen Baum legen darf, um die Früchte dieser Erde zu genießen. Und eine Weile mit der Rennerei nach zweifelhaften Zielen aufhören kann. „Ich will so etwas wie ein gepflegtes Schloss für die WG, einen Palast“, sagt die Designerin. Und weil dies die Post-Postmoderne ist, reicht dafür schon das Zitat eines Palastes. Viele ihrer Kunden hängen sich eine einzelne, glamouröse Tapetenbahn von der Decke vor die weiße Wand. Diese homöopathische Dosis kann man bei Umzug zusammenrollen und mitnehmen. Das sei auch deshalb gut, weil „der deutsche Mietvertrag die Raufaser subventioniert.“ – In Pößnickers Laden strömen Leute, die gelangweilt sind von der Einheitsstrukturtapete, aber jede Wohnung zwei Mal renovieren müssen, wenn Raufaser vorgeschrieben ist.
„Der Trend begann, als vor vielen Jahren in Hamburg die Puffs zu Kneipen umgewidmet wurden. Die Samttapete haben sie drangelassen“, sagt Pößnicker. Jetzt sind Clubs wieder wild tapeziert, vor allem in Retromustern. In der Neuen Schönhauser Straße 18 kann man alte Tapetenrollen aus den 70ern erwerben, die nur ganz wenig nach Keller muffen. Nach der Retrowelle kamen die Panoramabordüren, die Fototapeten und die individuelle Tapete. In England wird ein Team für den nationalen Designpreis gehandelt, das Landschaften aus dem 17. Jahrhundert nachempfunden hat. Bei genauem Hinsehen sitzen in den scheinbaren Idyllen jedoch Obdachlose, Partygänger und Junkies herum. Wie konnte das passieren?
Aram Radomski hat vor drei Jahren das Unternehmen berlintapete gegründet (www.berlintapete.de). Er hat das Restaurant „Good Times“ in Berlin mit großzügigen Blumen ausgestattet, das Maxim Gorki Theater mit einem Bühnenbild, ein Design-Hotel in Kopenhagen mit individuellen Zimmern. Er hat für das Filmteam von „Bourne Identity“ die Tapete für eine russische Küche von einem Foto nachempfunden, und in seinem Büro kann man in einen Wald hineinspazieren. Privatleute können mit einem Foto zu ihm kommen, drei Megapixel reichen aus, und er macht daraus einen Wandbehang. Da kamen sogar Leute mit ihrem eigenen Bauchnabel, mit Kinderfotos und Naturbildern. „Man muss ihnen schon mal Mut zusprechen“, sagt Radomski, und dann fragt er sie, warum es denn bloß ein Sonnenuntergang sein soll. Denn selbst ein ironischer Sonnenuntergang ist immer noch ein Sonnenuntergang. Radomski hat mit den visuellen Klischees dieser Gesellschaft zu tun, und mit den Leuten, die sie brechen wollen.
In Baumärkten, sagt Radomski, hat er früher vor den Musterbüchern der Tapetenhersteller kapituliert. Eine erschlagende Auswahl an Mustern, die zugleich immer nur die begrenzten Ideen der Hersteller darstellten. Diese Ideen waren auch noch zwei Jahre alt, denn so lange braucht ein Design bis zur Serienreife.
Die Strukturen unserer Zeit, sagt Radomski, sind nun auch bei der Wand angekommen. Da ist erstens das Individuelle und zweitens das sich Wiederholende. Gemusterte Tapeten sind Techno für die Wand. Was sind Muster anderes als visuelle Samples? Dabei ist die Wahrnehmung von Kunst in Intervallen eigentlich eine uralte Sache und in den prachtvollen Ornamenten der islamischen Welt hervorragend gepflegt. Für ihn ist alles gleich, nämlich eine Bilddatei. „Alles ist möglich“, sagt Radomski, denn zur ästhetischen Vorliebe gesellt sich jetzt auch noch die technische Möglichkeit, in kleinen Mengen zu produzieren, zehn Meter hoch und beliebig breit, auf Wunsch selbstklebend oder für den Fußboden. „Jeder Tapetenhersteller ist eine Art von Verlag.“ Tapete ist für Radomski kein Gegenstand der Einrichtung mehr, sondern „Tapete ist ein Medium, wie Bücher, wie eine Zeitung, ein Informationsträger“.
Klar, der Mann kommt vom Theater, der Illusionsmaschine, da informiert man gerne großflächig. Tapete sei überhaupt der falsche Begriff, sagt Radomski. Wandbelag. Das klingt klebrig, haltbar, widerstandsfähig, wie Zahnbelag. Es geht aber nicht um Dekor, sondern um eine räumliche Erfahrung. Man dekoriert nicht, man definiert den Raum. Ein Irrtum, dass mit der Gestaltung der Oberfläche nur die Oberfläche gemeint sein könnte. Mit der Oberfläche ist der Raum gemeint! Die Wand ist eine architektonische Kategorie und Tapete Architektur.
Ein Argument für die weiße Wand war immer, dass sich der Raum optisch vergrößert. Aber was, wenn der mit perspektivischen Motiven noch viel größer wird? Mit einem Wald etwa, in den man hineinspazieren will? Ein anderes Argument ist, dass Weiß beruhigt, was aber, wenn die Betrachtung bestimmter Bilder viel besser beruhigt? „Wir leben in einer visuellen Welt“, sagt Radomski, „wir produzierten ständig Bilder, haben aber nur eine begrenzte Zahl von Anwendungen.“ Es ist verführerisch, eine neue Betrachtungsweise für diese Bilder zu finden. Landschaft war in den Wohnungen zuletzt bloß ein Möbelstück, ihr Gefäß der Bilderrahmen, darin konnte man die Landschaft überall hinstellen. Jetzt verlängert Landschaft auf der ganzen Wand den Raum.
Lange haben die Architekten geglaubt, es sei irgendwie ehrlicher, wenn an der Wand ihre Funktion, das Tragende und das Lastende, sichtbar sei. Sie nahmen der Wand die Tapeten, den Putz, die Verkleidung. Manchmal blieb nur Beton übrig. War Oberfläche überflüssig?
Gottfried Semper, der Theaterbauer des 19. Jahrhunderts, hat seine gesamte Architekturtheorie auf der Bedeutung der Oberfläche aufgebaut, und die Wand gehörte ihm dekoriert. „Ich meine, das Bekleiden, Maskieren, sei so alt wie die menschliche Zivilisation. (…) Jedes Kunstschaffen einerseits, jeder Kunstgenuss andererseits, setzt eine gewisse Faschingslaune voraus, um mich modern auszudrücken, – der Karnevalskerzendunst ist die wahre Atmosphäre der Kunst“, schreibt Semper 1860 in „Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten“. Er hatte auf einer Reise herausgefunden, dass die antiken Tempel gar nicht weiß, sondern bemalt gewesen waren. Das war ein harter Schlag für die Klassizisten. Für ihn waren die Tempel die Stein gewordenen Festzelte, und die eigentliche Wand also nur ein versteinertes Zeltgewebe. Wände mussten dekoriert werden, das Festzelt nachahmen. Nach seinem „Prinzip der Bekleidung“ kommt „Wand“ von „Gewand“ und ist Bekleidung. Zuerst waren das Wandteppiche und Wandbespannungen aus Stoff, kostbares Papier wurde erst Ende des 16. Jahrhunderts aus China importiert. Im 17., 18., und 19. Jahrhundert entwickelte sich vor allem in England und Frankreich eine Produktion mit luxuriösen Entwürfen. Die erste deutsche Tapetenfabrik stand 1789 in Kassel.
In Berlin, Prenzlauer Berg, sitzt heute Aram Radomski und sagt: „Wenn die Zeiten wirtschaftlich schlechter werden, dann gibt es wieder Ornamente.“ Als wäre es eine Beruhigung, dass das Muster bei der zweiten Wiederholung noch immer da ist. Das stimmt natürlich höchstens für die letzten 150 Jahre. Das Üppige, Barocke, der Reichtum selbst im Muster, war lange ein Vorbehalt des Adels. An die Wand klebte man importierte Kostbarkeiten. Erst William Morris und die Arts and Crafts-Bewegung wollten im 19. Jahrhundert Gestaltung für alle Schichten etablieren: Möbel, Tapeten, ganze Häuser. Möglich wurde das nur mit der Industrialisierung der Herstellung. Die Gegenbewegung brauchte nicht lange, 1925 zeigte Le Corbusier erstmals einen ganz in Weiß gestalteten Raum, entkleidet und fortan derart gefeiert, als ob Nacktheit schon Reinheit wäre.
Aber vielleicht musste man die Wand erst nackt sehen, in Putz oder gleich Beton, um jetzt wieder etwas auf ihr ertragen zu können. Wer renoviert, findet unter der Raufasertapete oft andere Schichten, die groß gemusterten Siebziger, die kleinkarierten Fünfziger, das Zeitungspapier aus dem Krieg, weil Papier auch wärmt und nicht nur aussieht, und darunter mit viel Glück noch eine Bemalung. Und vielleicht würde sich sogar Semper wohl fühlen in Berlin, in den Clubs, den Festzelten der Moderne, dort gibt es auch das Großgemusterte. Nur zu Hause halten so viel Feierei die wenigsten aus.