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Wie Helmut Kohl die Revolution gewann. Das ZDF−Dokudrama
"Deutschlandspiel"
von Christoph Dieckmann
Wie sich der kleine Fritz die große Politik vorstellt, so ist sie wirklich. Das steht bei Tucholsky, doch was
weiß die große Politik vom kleinen Fritz? − Dass die da unten uns hier oben lieben und ihrer Führung dankbar
sind für 40 Jahre Friedensstaat. So vermutet wenigstens der greise König, mit dem dieses Märchen beginnt.
Wir schreiben den 6. Oktober 1989. Morgen ist, der König kommt aus seinem Häuschen getapert. Draußen
wartet die Staatskarosse. "Morjen, Erich!" ruft der Chauffeur. − "Morjen, Gerhard." − "Großer Tach heute für
die DDR, wa?" − "Jaaa", sagt Erich, "großer Tach." − "Mein Enkel", sagt Gerhard, "ist heute Ahmd ooch
beim Fackelzuch dabei." Erich spendet ein debiles Grienen: "Gutt, gutt!" Gerhard: "Die FDJ freut sich
besonders auf den Genossen Gorbatschow, hatter gesacht." Das Grienen erstirbt, Erich sinkt, erschüttert
hustend, in die Polster seines Wagens, den Gerhard zum Flughafen lenkt. Sie müssen Besuch abholen.
Der ist noch in der Luft und freut sich gar nicht auf den Geburtstag unserer Republik. Er ist besorgt: "Wird der
alte Mann verstehen, was ich ihm zu sagen habe?" Uns schwant: Hier naht ein grässlicher Film, eine
dreistündige Klischeeparade, eine hundertachtzigminütige Bedeutungsschwangerschaft und Ausgeburt dessen,
was jeder schon weiß. Denn wir alle waren ja irgendwie dabei, als die DDR zerfiel, als Deutschland eins,
wenngleich nicht einig wurde. Gucken wir mal trotzdem weiter. Wir werden es nicht bereuen.
Deutschlandspiel ist ein so genanntes Dokudrama. Spielszenen verbinden sich mit Dokumentaraufnahmen
und Zeitzeugeninterviews. Die Art des Streifens ähnelt Heinrich Breloers Todesspiel über den deutschen
RAF−Herbst 1977, nur dass Breloer 20 Jahre post festum drehte, Hans−Christoph Blumenberg schon 10 Jahre
danach. Die realen Akteure der Wende sind noch sehr präsent. Das verführt ihre Darsteller zur Imitation, denn
das Publikum fordert unweigerlich, dass Gorbatschow, Krenz, Kohl "echt" zu wirken hätten. Historiker wie
Ästheten mag zudem der Massenappeal von Deutschlandspiel pikieren. Der Film verkraftet das. Eine
Seifenoper ist er keineswegs, aber eine solide Volksausgabe der Wende−Geschichte, in zwei Teilen.
Teil eins heißt Auf die Straße! und zeichnet nach, wie der SED ihr Staatsschiff aus dem Ruder lief.
Abertausende sind geflüchtet. Die Bleibenden entdecken sich als Volk, als Macht. Ganz richtig beschreibt der
Film als Nukleus der Wende die Leipziger Ereignisse um den 9. Oktober 1989; dank der Bürgerrechtler und
Video−Desperados Aram Radomski und Siegbert Schefke gingen Bilder dieses Aufbruchs um die Welt. Die
erste große Montagsdemonstration entschied die Geschichte. Dass damals kein Blut floss, bleibt eine Gnade
und der Ruhm aller Besonnenen: der 70 000, der Leipziger Honoratioren um den Kapellmeister Kurt Masur,
der SED−Bezirksleitung − vielleicht auch ein Verdienst von Egon Krenz, der gerade an seinem zagen Putsch
gegen Erich Honecker bastelte. Honecker stürzt, Krenz wird der neue Mann und ist doch von gestern. Die
DDR−Medien mucken auf; dafür steht im Film das Jugendfernsehmagazin Elf 99 mit Viktoria Hermann und
dem Reporter Jan Carpentier, dessen Wandlitz−Reportage den Volkszorn mobilisiert.
Trotz Krenz' Reformversprechen flüchten die Menschen weiter nach Westen. Nichts scheint dringender als
Reisefreiheit. Ein Reisegesetz wird gezimmert und von Günter Schabowski im Fernsehen annonciert.
Schabowskis Gestammel macht Weltgeschichte. Was in der Nacht vom 9. auf den 10. November geschah,
wäre zwar wenig später ohnehin passiert − "aber nicht auf diese Weise", seufzt der Gorbatschow des
Deutschlandspiels.
Da hat schon Eilig Vaterland! begonnen, der Komödie zweiter Teil. Gorbatschow verschlief die
Schicksalsnacht; Krenz drang nicht zu ihm durch. Auch Botschafter Kotschemassow wurde nicht geweckt;
dies unterließ sein Stellvertreter Peter Ustinov. Zwar sollte Ustinov den Sowjetdiplomaten Maximytschew
verkörpern, doch tut er dies mit derart fröhlicher Egozentrik, dass Regisseur Blumenberg lachend kapituliert
haben muss und seinen Star die List der Geschichte spielen ließ.
Helmut Kohl wird vom Mauerfall in Polen überrascht. Er eilt nach Berlin; Adenauer hatte dies am 13. August
1961 versäumt. Nun schleicht sich peu à peu die deutsche Einheit ins Programm. Noch regiert Krenz und
bestellt sich Modrow zum Premier, noch hat Gorbi den Ostblock beieinander, da tuschelt sein Berater Falin
mit dem Deutschlandexperten Portugalow. Wir, die kleinen Fritzen, lauschen hinterm Vorhang großen
Dialogen: "Wenn man wüsste, was die Deutschen vorhaben", orakelt Portugalow. Falin, ahnungsschwer: "Die
Deutschen haben immer etwas vor." Dann schickt er Portugalow mit einem Köder zum Kanzlerberater
Teltschik nach Bonn. Der Emissär soll von neuem Kreml−Denken in Bezug auf deutsche Einheit raunen, und
Bonn möge über seine Nato−Bindung ins Grübeln kommen.
"Mach dir mal Gedanken, Teltschik", gebietet der Kanzler
Teltschik, elektrisiert, eilt zu Helmut Kohl. Das Traumpaar des Films: Lambert Hamel spielt Kohl mit
vehementem Wimpernklimpern vom historischen Sockel herunter, Udo Schenks fischblütigen Teltschik krönt
ein Toupet wie eine Kaffeemütze. "Mach dir mal Gedanken, Teltschik", gebietet der Kanzler, "daraus kann
man doch was machen." Und Teltschik macht: den Zehnpunkteplan zur deutsch−deutschen Konföderation,
mit dem Kohl am 19. Dezember nach Dresden reisen soll. Im Thema deutsche Einheit sieht Teltschik Kohls
einzige Chance, die kommende Bundestagswahl zu gewinnen. Dann kommt der Kanzler nach Dresden und
weiß: Der Zug zur Einheit rollt und ist nicht mehr aufzuhalten. Noch heute beklemmt die verzweifelte
Unterwerfungsbegeisterung der schwarz−rot−goldenen Masse. Zu den anrührenden Passagen des Films
gehört, wie Helmut Kohl (der echte) sich erinnernd einfühlt in die fürchterliche Lage seines Gastgebers Hans
Modrow. Dieses Mitgefühl, falls damals schon vorhanden, verschafft Modrow freilich nicht den erbetenen
Lastenausgleich von 15 Milliarden Mark (West) zur Reparatur der DDR.
Die DDR wird unregierbar. England und Frankreich wollen sie halten. François Mitterrand macht
demonstrativ Staatsvisite in Ost−Berlin. Er fürchtet ein neues Preußen, und Preußen heißt für ihn Krieg.
Maggie Thatcher schäumt, wie es der kleine Fritz geahnt: "Kohl überrollt uns wie ein Panzer!" Die beiden
fühlen sich Kohl gegenüber so ohnmächtig wie ihre Vorgänger 1938 in München gegenüber Hitler. Und dann
kommt der 1. Juni 1990. Beim Gipfel in Washington fragt George Bush Gorbatschow, ob er, gemäß Helsinki,
zugestehe, dass jedes Land seine Verbündeten selber wählen dürfe. Gorbatschow sagt ja. Das heißt: Die DDR
wird Nato−Land. Gorbatschow hat das Selbstbestimmungsrecht der Völker paraphiert und die alte
Sowjetdoktrin verraten. Als deren Protagonisten etabliert Blumenberg den Marschall Achromejew (klassisch:
Michael Mendl) und schickt ihn immer wieder mit Bushs adretter Kreml−Expertin Condoleezza Rice (Sheri
Hagen) spazieren. Deren Freiheitspathos kontert Achromejew mit slawischem Moll. "Wir alten Männer",
spricht der Held von Leningrad, "betrachten die DDR als legitime Kriegsbeute. Wenn Deutschland
Nato−Mitglied würde, hätte die Sowjetunion den Krieg verloren."
Nur wenig erzählt Eilig Vaterland! vom letzten, freiesten Jahr der DDR. Die nationale Vereinigung fungiert
im Film als undiskutierter Selbstwert. Immerhin deutlich wird die westdeutsche Okkupation der Wahl vom
18. März 1990. Goldig die Episode, wie Kohl auf der Fahrt zu seiner Erfurter Kundgebung in einer dörflichen
Betriebskantine Kaffee trinken möchte. Kreischend flieht die Bäuerin ins Haus, wagt sich dann aber doch
herbei, um den Heiland zu begrüßen ... Unsere Menschen, was will's der Worte mehr.
Die Volkskammer bleibt unverfilmt, die Währungsunion, der Weg zum Einigungsvertrag. Bei den
Zwei−plus−Vier−Verhandlungen scheint die DDR nicht beteiligt gewesen. Das ist hart, aber ehrlich. In
Moskau wird das Finis der DDR unterschrieben. Noch einmal promeniert Condoleezza Rice mit Sergej
Achromejew. "Es war knapp", sagt sterbenstraurig der Marschall, "es war sehr knapp, und es war ein Fehler."
− "Nicht für die Deutschen", spricht die Gute. − "Nein", sagt Achromejew, "für die nicht." Da böllert schon
Feuerwerk. Der 3. Oktober ist da, und auf Befehl Tucholskys wird beim Happy End im Film jewöhnlich
abjeblendt.
Im richtigen Leben hat sich Sergej Achromejew umgebracht. Michail Gorbatschow blieb des Westens liebster
Partygast, Hans Modrow ein Mensch der DDR. George Bush wird bald wieder Präsident. Helmut Kohl
repariert sein Denkmal. Günter Schabowski kommt zum Tag der Einheit aus dem Gefängnis. Egon Krenz, da
bockig, muss noch ein bisschen brummen. Viktoria Herrmann macht Halligalli−Fernsehen. Aram Radomski
treffe ich manchmal auf der Straße. Also, das Leben geht weiter, nur dieser Film ist schon vorbei.