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Comeback für eine alte Dame: Nach Jahren der Verbannung kehrt die Tapete in die Wohnzimmer zurück - als echtes Designerstück
von Sandra Winkler
Zum Glück steht bei den meisten der Tapeziertisch noch im Keller, denn jetzt wird er wieder gebraucht. Nach zwanzig Jahren Putz und schlichter Raufaser tragen die Wände wieder Muster. Auf der Frankfurter Lifestyle Messe "Tendence" stellten Nachwuchsdesigner avantgardistische Tapeten-Interpretationen aus und forderten: "New Walls, please!"
Selbst die Foto-Tapete, Inbegriff des schlechten Geschmacks, erlebt als "Single-Tapete" ("damit man sich nicht so allein fühlt") ihre Renaissance; Motiv: schöne Menschen, die es sich im Wohnzimmer gemütlich machen. Im Kampf gegen die Langeweile übt sich auch die Kreutzworträtsel-Tapete von Jens Willemer oder eine Rehkitz-Tapete, die ihr Geheimnis erst auf den zweiten Blick preisgibt.
"Die Leute haben eben lange genug auf weiße Wände geschaut. Endlich ist die Tapete wieder dabei, sich von ihrem spießigen, bürgerlichen Image zu befreien", freut sich Klaus Kunkel vom Deutschen Tapeten-Institut. Und Bernhard Holzapfel, seit Jahren Chefdesigner bei der Firma "Rasch" (www.rasch.de), sieht in der neuen Farbigkeit gar eine Rebellion gegen die Eltern, die seit zwei Jahrzehnten "wie in Galerien leben". Endlich sei der Protest und die Abgrenzung der Jungen da: "Schließlich haben unsere Eltern uns die Tapete genommen", so Holzapfel.
Ein Blick auf die Geschichte gibt Holzapfel recht: Nachdem in den 50er-Jahren die Wände, ganz so wie die Damen dieser Zeit, noch viel grau, beige und klein geblümtes trugen, explodierten 1968 die Farben. Dank neuer Drucktechniken fand die Flower-Power-Bewegung auch auf den Papierbahnen statt: Tapeten zeigten Streifen, verformte Punkte, riesige Blumen, ineinander laufende Ellipsen. Je bunter, desto besser. Doch damit nicht genug: Zu den farbigen Wänden kombinierte man knallige Teppiche und grelle Vorhänge. Wurden zwischen 1970 und 1974 so viele Tapetenrollen wie nie zuvor und nie wieder danach verkauft, ging es nach dem Boom schlagartig bergab. Die Verkaufszahlen halbierten sich.
"Schade, die Angst vor der Tapete ist völlig unbegründet. Ein neues Wanddekor kann einer Wohnung ein komplett neues Flair geben", so Holzapfel. Sein Langzeit-Projekt "Art Borders" läuft bei der Marburger Tapetenfabrik (www.marburg.com) seit 1999 und wird 2009 enden. Jedes Jahr entwirft ein bekannter Künstler eine neue Kollektion. Der Textildesigner Ulf Moritz, der gerade von "Architektur und Wohnen" zum Designer des Jahres gewählt wurde, überzeugte mit strengen, geometrischen Formen. Für die aktuelle "Art Borders"-Serie variierte der Künstler Richard Anusziewicz eigene Werke wie "Convex Concave" (1966) oder "Evening Blue"(1982).
Die Faszination für die rollbare Kunst ist nicht neu: Der Tapetenhersteller "Rasch" brachte in den 20ern die berühmte Bauhaus-Kollektion heraus. Le Corbusier entwarf in den 30ern und 50ern für "Salubra" und Andy Warhol zauberte in den 70ern Kuhköpfe und Fische auf die Wände.
Auch Uwe Eckert vom Hamburger "Tapetenkeller" (Tel. 040/439 64 22) ist davon überzeugt, dass die Zeiten langweiliger Farblosigkeit endgültig vorbei sind. Dabei geholfen haben Filmausstatter, Bühnenbildner und Fotografen, die seine auffälligen Retro-Tapeten als Dekoration in TV-Serien ("Großstadtrevier"), am Hamburger Thalia-Theaters oder bei Mode-Shootings benutzt haben.
Inzwischen fragt auch Otto Normaltapezierer wieder bei Eckert nach den alten Bahnen. Der trendbewusste Heimwerker tapeziert damit allerdings kein ganzes Zimmer mehr, sondern nur noch eine Wand als Blickfang.
Die jungen Designer wollen es nicht beim Retro-Stil belassen und entwerfen innovative und ausgefallene Designs, die in keinem Baumarkt-Katalog zu finden sind. Deborah Bowness und Rachel Kelly ( Tel. 020/78 37 26 32) sind zwei von ihnen. Die eine lässt Kleiderhaken aus 3-D-Tapete ragen und legt aufklebbare Namensschilder bei - zum Personalisieren der Wandstoffe. Die andere bringt selbst geknipste Bilder vom letzten Asien-Trip lebensgroß als Fototapete an die Wand.
Die Arbeiten der beiden werden schon im Museum ausgestellt, der britische Observer schwärmt von "neuen Sphären der Tapetengestaltung". Und auch in Deutschland entdecken die Kreativen die Tapete als neue Spielwiese. Die Industrie-Designerin Andrea Pößnicker (www.andrea-poessnicker.de) hat lange für renommierte Firmen entworfen und jetzt mit "Musterhaus" ihre erste eigene Kollektion herausgebracht. Ihre handbedruckten kühl-eleganten Dessins, die im Berliner "Tapetensalon" ausgestellt sind, kosten zwischen 25 und 30 Euro pro laufendem Meter.
Die Grafikdesigner Kathrin Kreitmeyer und Matthias Gerber sind bereits seit einem Jahr unter dem Namen "Extratapete" (www.extratapete.de) im Geschäft. Ihre meist grafischen, bunten Muster verändern sich im Raum. Je nachdem, wo der Betrachter steht, wirken sie eher flach oder dreidimensional. 22 Designs, eine Bahn ab 26 Euro, haben Kreitmeyer und Gerber bereits in ihrem Angebot. Bei Aram Radomski von der "Berlintapete" (Tel. 030/44 04 65 34) gibt es Tapeten-Design sogar auf Bestellung. Eine neue Produktionstechnik ermöglicht, jedes Design für die Wand in noch so kleiner Auflage zu produzieren. Statt des aufwendigen Tiefdruckverfahrens wird das gewünschte Bild oder Muster per Digitaldruck auf den Vlies-Stoff gebracht. Für Radomski eine Revolution und die Chance, sich von der Mainstream-Massenware abzusetzen: "Bislang schoss man mit seinen Ideen wie mit einer Schrotflinte auf die Kunden. Immer mit der Hoffnung, den Geschmack einiger Leute zu treffen." Zwischen sieben und zehn Euro kostet der Meter Individualität, 300 bis 450 Euro eine komplette Wand. Denn: Eine neue Tapete ist wie ein neues Leben.
Artikel erschienen am 24. Aug 2003