(This article is only available in German)
Litschis, Gardinenfetzen oder Hühnerhäute: Aram Radomski bringt fast alles an die Wand
Von Andin Tegen
Es gibt Menschen, die möchten ihren Bauchnabel an der Wand sehen. Vervielfacht, ein paar Tausendmal nebeneinander, untereinander, übereinander. Sie fotografieren ihn und bringen das Bild zu Aram Radomski. So hat es auch der Mann gemacht, der faltige Hühnerhaut so faszinierend findet. Er brachte ein Stück davon in den kleinen Laden des Fotografen und Tapetendesigners. Und der sagte ihm nicht, "wollen Sie sich das noch einmal überlegen?" oder "so etwas mach' ich nicht". Er notierte sich die Größe der Wandfläche, für die das Tapetenmotiv bestimmt war, und legte das Hautstückchen auf einen Scanner. Ein bißchen angewidert tat er das. Aber er machte es genau wie mit der Litschi, der Postkarte, dem Gardinenfetzen, der Mandarinenschale, dem Blatt einer Lilie, dem Urlaubsfoto, "was immer die Leute wollen", sagt er.
Und dann macht er daraus Werke. Wandgroß. Am Computer bearbeitet, in Muster verwandelt. Wenn man die Augen etwas zukneift, sieht die Bauchnabeltapete aus wie der geknöpfte Rücken eines englischen Sofas.
Vergrößert Aram Radomski die Gegenstände einfach nur, dann kann er einen ganzen Raum zu einem riesigen Stück Holz mit überdimensionalen Jahresringen machen. Wie die Tapete für das Stück "Väter und Söhne" am Hamburger Thalia-Theater. Sie brachte dem Bühnenbild eine finstere Atmosphäre, etwas Drückendes, das den Generationenkonflikt in der Inszenierung unterstrich.
Tapeten interessieren eigentlich niemanden. Auch Aram Radomski hat sie immer gehaßt, er blätterte nie gern in Tapentengrundmuster-Katalogen und fand die Wahl zwischen Mint, Rosé, Streifen- oder Blumenrelief unendlich mühsam. Wieso kann man Tapeten nicht nach einfachen, aber schönen Grundmustern herstellen, fragte er sich. Warum wirken Florida-Beach-Tapete, Herbstwald und Schilf am See so geschmacklos? Er kam zu dem Schluß, daß sich bisher niemand wirklich dafür interessiert hatte, und machte es sich zur Aufgabe, Tapeten herzustellen, bei denen das Material unwichtiger ist als das Motiv. Heute kann man seine Tapeten über einen Katalog auf seiner Webpage bestellen. Ab 6,40 Euro den Meter.
Auf einer seiner selbstentworfenen Tapeten steht man tief im Mecklenburger Birkenwald, auf einer schrägen Anhöhe und frisch gewachsenem Gras. Es riecht nach nassem Waldboden. Warum nur?
Vielleicht, weil es eine Birke gibt, die ganz vorn in Bild steht und es dadurch räumlich macht, weil es keine aufdringliche Schlucht gibt, in die man wandern muß, sondern mehrere Zugänge in den Wald, oder weil man merkt, daß sich Aram Radomski Zeit genommen hat, das richtige Foto von diesem uralten Wald zu schießen. Man kann so ein Motiv sehr lange hängen lassen, sagt Radomski. Es hat keine Aussage, an die man sich irgendwann gewöhnt hat, die man irgendwann nicht mehr sehen kann.
So wie die "Single-Tapete". Auf ihr sitzt ein hübscher, blonder Mann lebensgroß auf einem Sofa: "Er ist jetzt bei mir eingezogen" heißt die Tapete. Die Nachfrage war groß, nur an die Wand hängen wollte sich die nach außen gekehrte Einsamkeit keiner.
Wer keine Fantasie hat, wer sich Rechenpapier- oder Stahlblechmuster an der Wand nicht vorstellen kann, kann sich vor den kleinen, etwas unscheinbaren Laden in der Wichertstraße stellen. Am Schaufenster ist eine Kaleidoskop-Brille angebracht und in der Auslage liegt ein Holzwürfel neben einem Kristalldreieck, Buntstiften, einem Kaninchenschädel und Pfirsichkernen. Durch die Brille splittern sich die Gegenstände auf in Muster. Beim zweiten, dritten und vierten Blick ist es dann gar nicht mehr so abwegig - die dunklen Rillen von den Pfirsichkernen würden eine wunderbare Wohnzimmertapete abgeben.
Berlin Tapete, Wichertstraße 66, Prenzlauer Berg. Tel.: 440 465 34. Geöffnet: Mo.-Fr. 10-19 Uhr, www.berlintapete.de