(This article is only available in German)
DER WÄNDE NEUE KLEIDER
NATURERLEBNIS ODER NABELSCHAU. ERDBEEREN, FISCHE, FÜßE ODER SCHMETTERLINGE. DIE DESIGNERTAPETE DES NEUEN JAHRTAUSEND HAT MIT DER FOTOTAPETE VON EINST UNGEFÄHR SO VIEL ZU TUN WIE EIN FAXGERÄT MIT EINEM
I-POD. BERLINTAPETE DRUCKT WANDKLEIDER NACH WUNSCH. EINE WELT DER WUNDERBAREN WONDERWALLS .
Tiefgründig blaue, wogende Wellen, die Energie in einen kühlen Büroraum bringen, eine „Sofatapete“, die das Muster und die Farbe des Sofas imitiert und stilvoll an die dahinterliegende Wand bringt, zarte, verfremdete, nackte Körper in Pastellfarben,die ein Designhotel als Deckenverzierung anbrachte, wilde Dschungelmuster für einen angesagten Club oder minimalistische Tropenpflanzen als Deko für das Speisezimmer. Tatsächlich gibt es kein Muster, kein Foto, kein Design, welches Aram Radomski nicht auf Tapetenrollen drucken kann. Mit seiner Firma „berlintapete“ will der Herr der Wände, der vor einiger Zeit noch als Produktionsleiter im Theater arbeitete, den deutschen Tapetenmarkt „aufrollen“. Musterbücher, wie sie in den Tapetengeschäften ausliegen, kommen in dem kleinen Ladengeschäft im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg nicht auf den Ladentisch. „Unser Showroom befindet sich im Internet“, erklärt der Erfinder der Wandkleider der neuen Generation. Wie sollte er auch die 3000 vorhandenen „Basismuster“ in ein Musterbuch packen? Auf dem Monitor kann sich der Kunde einen Eindruck verschaffen,wie die individuell bedruckte Tapete in verschiedenen Räumen wirkt. Mit der berühmt-berüchtigten Fototapete, die einst die Skyline Manhattans, den Palmenstrand der Malediven oder Big Ben in den Partykeller holte, hat die Designertapete des neuen Jahrtausends ungefähr so viel zu tun wie ein Faxgerät mit einem I-Pod. Zwar stellte berlintapete auch die Single-Tapete mit den attraktiven jungen Leuten her, mit der sich Alleinstehende Gesellschaft in ihr Ein-Zimmer-Apartment holen. Das Foto jener Tapete wanderte durch alle Zeitungen, „doch gekauft hat sie kaum jemand“, sagt Aram Radomski. Die Variante war eher ein Marketing-Gag, um die Firma bekannt zu machen. Realistischer war eine Aktion mit dem Kaffeehändler Tchibo, bei der Kunden digitale Fotos einsenden konnten, um daraus ihre ganz persönliche Fototapete herstellen zu lassen. Eine neue Produktionstechnik ermöglicht es, jedes Design für die Wand in noch so kleiner Auflage zu produzieren. Mit einem Foto einer digitalen Kamera mit mindestens drei Megapixeln können problemlos Fototapeten in einer Größe von 3,65 Meter mal 2,8 Meter produziert werden. Gedruckt werden die Tapeten, die übrigens statt der üblichen 53 Zentimeter nur 46,5 Zentimeter breit sind, auf strapazierfähigem Faservlies, das aussieht wie Papier, aber wesentlich robuster ist. Das Material macht sogar einen Wohnungsumzug mit: die Tapeten lassen sich, ohne sie zu beschädigen, von der Wand abziehen. Ein nicht unbeträchtlicher Vorteil der neuen Tapetenpräsentation im Internet ist der geringere Kapitaleinsatz. Aram Radomski: „Die herkömmlichen Tapeten-Musterbücher, die in Hunderten von Geschäften ausliegen und pro Exemplar oft mehrere hundert Euro kosten, binden viel Kapital. Natürlich ist der haptische Eindruck einer Tapete wichtig. Doch anstatt dicke Musterbücher zu drucken, verschicken wir – gegen ein geringes Entgelt – Proben der von den Kunden ausgesuchten Tapeten per Post.“
Unter den Kreativen sprach sich das Konzept von berlintapete in Windeseile herum. Mittlerweile stellen mehr als 20 Designer aus ganz Europa ihre Kollektion im virtuellen Showroom von berlintapete aus. Die moderne Produktions- und Vertriebsart bringt die Tapeten im Mach2-Tempo auf den Markt: „Bisher dauerte es rund zwei Jahre, bevor ein Designentwurf der Tapete an die Läden ausgeliefert wurde“, erzählt der Wand-Visagist. „Bei uns ist die Zeit auf eine Woche verkürzt“. So gelangen aktuelle Entwürfe erheblich schneller ins Wohnzimmer, ins Restaurant oder ins Hotel. Weil ein Muster über acht Bahnen gedruckt werden kann, sind zudem mit den Tapeten ganz andere Gestaltungen möglich als mit Tapetenrollen, in denen sich das Muster in jeder Bahn wiederholt. Bei den Fototapeten lägen zur Zeit Familienfotos, Naturfotos oder Kinderfotos im Trend. Eine Künstlerin bestellte mit einem Foto eine Tapete in Hautfarbe – erst bei genauerem Hinsehen offenbarte sich, dass sie ihre Wände mit ihrem eigenen Bauchnabel verschönerte.